Donnerstag, 29. Juli 2010

Kollektivjournalismus

Wie viel Mitarbeiter braucht man, um folgenden Text zu erstellen?
Die Massenpanik auf der Loveparade hat ihr 21. Opfer gefordert. Vier Tage lang rang Anna K. (25) aus Heiligenhaus (NRW) mit dem Tod. Gestern hörte ihr Herz für immer auf zu schlagen. Die Mutter eines vierjährigen Sohnes war mit Bekannten und ihrem Lebensgefährten zur Loveparade gefahren. Freunde berichten: „Sie war eigentlich kein Electro-Fan, ist nur mit ihrem Freund nach Duisburg gefahren, weil sie sich so sehr auf die Party freute.“ Als am Samstag im Gedränge die Massenpanik losbrach, wurde die Angestellte unter den fallenden Menschen begraben.
Einen? Zwei? Nein, Bild Online braucht nach eigener Aussage 22.
Es berichten F. SCHNEIDER, T. WINTERSTEIN, K. WEUSTER, M. HEYL, G. KLEINEHEILMANN, C. WITTE, M. ENGELBERG, A. NAAF, F. DEÁKY, H. MEYER, W. PASTORS, P. POENSGEN, D. Böcking, U. REINHARDT, M. KIEWEL, S. FENSKE, S. TREISCH, N. WOLFSLAST (Text) und M. VOLLMANNSHAUSER, S. LAURA, B. KANKA, S. SCHÜTZE
Vermutlich waren sie neidisch auf die mehrseitigen Artikel im Spiegel, der meist von 3 oder 4 Leuten zusammengeschustert werden. Wenn schon - denn schon, hat sich Bild Online da gedacht, und freut sich gleich auch noch über den Umstand, dass jetzt niemand konkretes mehr für die Texte verantwortlich zeichnen muss. Hut ab!

Mittwoch, 28. Juli 2010

Der Anfang von Merkels Ende

Auf Bild Online gibt es heute einen Artikel, den wir uns alle merken sollten, denn er läutet die Endphase der Kanzlerin ein. Schon vor Monaten hatte der Kabarettist Georg Schramm das prophezeit:
Eine Handbewegung von Friede Springer genügt, und die Lohnschreiberlinge werden die Kanzlerin endgültig vom Thron holen und werfen sie ihrer eigenen Partei zum Fraß vor. Vielleicht erleben wir es schon demnächst.
Ja, wir werden es demnächst erleben. Die Bild hatte bisher zwar immernoch wohlwollende Worte gegenüber der Kanzlerin gefunden („Sie hat sich den Urlaub redlich verdient”), doch nach den jüngsten Forsa-Umfragen wird sich das in Zukunft ändern. Auch die Userabstimmung mit der Frage nach der Benotung der Regierung Merkel spricht eine deutliche Sprache. Zum Zeitpunkt des Screenshots wurden knapp 120.000 Stimmen abgegeben.


Nun ist also der Zeitpunkt gekommen, in dem Bertelsmann und Bild sich auf die Seite der Mehrheit ihrer Leser stellen müssen. Das war bei Kohl der Fall, bei Schröder ebenso. Jetzt hat Merkels letztes Stündlein geschlagen, und die Berichterstattung wird in den nächsten Wochen Schritt für Schritt negativer werden. Man kann zwar nicht behaupten, dass sämtliche Medien in jüngster Zeit positiv berichtet hätten, aber jetzt wird die Endphase beginnen. Man darf gespannt sein auf die einhellige Demontage in den Medien.

Dienstag, 27. Juli 2010

Linksammlung Radio- und Fernsehenbeiträge

Man kann ja nicht immer nur lesen. Manchmal muss man sich auch berieseln lassen, wie etwa vom mp3-Player in der U-Bahn, auf dem Fahrrad oder beim Einkaufen. Darum habe ich hier eine kleine Liste mit Links zu interessanten Audio- und Videodateien zum Thema Medien erstellt. Radiobeiträge und Fernsehsendungen zum herunterladen. Natürlich alles ganz legal vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk.


Deutschlandfunk: Markt und Medien
Eine Auswahl besinders interessanter Beiträge des Medienmagazins vom Deutschlandfunk über PR-Meldungen, Kinderzeitungen und Medienjournalismus.

hr2 Wissenswert - Die Macht der Medien
Die Macht der Medien ist eine fünfteilige Reihe und wurde vom 28. Juni bis 02. Juli ausgestrahlt - die einzelnen Titel sagen schon worum es jeweils geht. Viele O-Töne von Medienmachern und Medienbeobachtern, ausgewogen präsentiert und unterhaltsam aufbereitet.


(WDR 5) Töne, Texte, Bilder - das Medienmagazin: Jahresrückblick 2009
„Subjektiv, unvollständig, aber in jedem Fall unterhaltsam” - so wird die Sendung angekündigt. Es lohnt sich allemal sich einmal die Zeit zu nehmen und die Medienereignisse des letzten Jahres revue passieren zu lassen. Wer kann sich schon noch an den Wirbel um die mit Laienschauspielern gestellte RTL-Sendung aus der Reihe „Mitten im Leben” und den darauffolgenden Stefan Raab-Kommentar „Da spielen Assis Assis für Assis” erinnern?


Quarks & Co. - Mit Zahlen lügen
Ständig begegnen einem Statistiken und Zahlen in den Nachrichten. Ranga Yogeshwar erklärt, welche Fallen bei der Interpretation lauern und wie gemogelt werden kann. Leider ist der Beitrag schon von 2006 und daher nicht von der Seite des Wdr herunterladbar, darum hier die Version von Youtube:

Als Online-Extra zu der Sendung hat der WDR noch ein interaktives Flashapp gebastelt: aus Zeitungen werden bewusst verzerrende Grafiken herausgenommen und analysiert. Auch das BildBlog und die berühmte „Klinsmann-Torte” kommen dabei zur Sprache.

NDR Info - Politiker, Privatsphäre und die Medien
In Deutschland ist es bisher noch unüblich, Dinge aus dem Privatleben von Politikern publik zu machen. Dieser Beitrag dreht sich um die Moral und die Distanz zwischen Medien und Politik.

B5 Aktuell - Medienmagazin
Zwar eine Nachrichtensendung und daher nicht mehr aktuell (21. März 2010), aber der erste Beitrag ist zeitlos. Es wird beleuchtet, wie neue Märkte im Printsektor erschlossen werden (oder wie es zumindest versucht wird).

Montag, 26. Juli 2010

Was darf Satire? Nichts, wenn sie nicht lustig ist.

Neben Eva Herman gab es jüngst noch einen Aufreger zum Thema Loveparade-Katastrophe: die Seite elternhilfe.wordpress.com. Dort stand ein Artikel welcher den Vorfall direkt in Verbindung mit Homosexualität, Juden und Pädophilen brachte - viele Leser nahmen das für bare Münze und forderten in hunderten Tweets und Blogkommentaren die Löschung der Seite. Das ist jetzt geschehen, Wordpress zeigt anstatt des Blogs jetzt nur noch einen Hinweis auf verletze Nutzungsbedingungen. Gut gemacht, liebe Internetgemeinde! Wie kann man so etwas ernst nehmen? Zitat aus dem Text:
Doch was brachte die Organisatoren dazu, diese Entscheidung zu treffen? Wir können nur spekulieren: Sexuelle Befriedigung am Tode junger (vielleicht sogar noch heilbarer) Homosexueller; ein PR-Stunt, um Aufmerksamkeit zu erlangen; eine Beteiligung jüdischer Hintermänner, um Chaos zu stiften
Nun gut, das ist hart. Allerdings wird in dem Blog selbst auch auf den satirischen Hintergrund hingewiesen.

Oft gehört: "Das ist keine Satire, das ist nicht mehr lustig." Das muss Satire glücklicherweise auch nicht sein, auch wenn die Titanic da einen anderen Eindruck vermitteln will - Lustiges verkauft die Hefte nun mal besser. Aber unlustige, böse und gesellschaftliche Missstände karikierende Satire gibt es eben auch. Aber die Aktion ist allzuschnell aus dem Ruder gelaufen. Ein Beispielkommentar unter dem Artikel von einem daniel:
Der Verfasser dieses Artikels gehört ins Gefängnis. Menschenverachtend, Volksverhetzend und ekelhaft. Euch behinderten Spasten hat man doch ins Gehirn gekackt.
Nicht schlecht, Herr Specht. Darunter sind noch weitere handfeste Morddrohungen oder Ankündigungen von rechtlichen Schritten.

Fazit: in diesem Fall hat die Blog- und Twitterdynamik ihre schlechte Seite gezeigt. Hunderte von hasserfüllten Leuten haben sich gegenseitig aufgewiegelt, weil sie meinen, die Herrscher über den guten Geschmack zu sein. Aber auch schlechter Geschmack muss erlaubt sein.

Loveparade, Schlagwörter und Eva

Die Loveparade macht immer Schlagzeilen, nur dieses Mal hätte man darauf Verzichten können. Dieses Ereignis mit 19 Toten gehört zu jenen, die ausnahmsweise mit Recht von den Medien als „tragisch” bezeichnet werden. An einem normalen Autounfall ist meist nichts tragisches, nein, er ist traurig und das Wort wird vermutlich aus Gründen der stärkeren Wirkung falsch benutzt. Neunzehn Tote und über 300 Verletzte, denkbar grausam aus mehreren Metern auf den Boden geklatscht oder totgetrampelt, auf einem Fest der Liebe und des Feierns sind wirklich tragisch.

Besorgniserregend ist indes das Verhalten der klassischen Medien, der Blogger und der Kommentierer, aus mehreren Gründen. Zum Ersten bin ich sicherlich nicht der Einzige, der auf die populäre Formulierung „Warum mussten 19 Menschen sterben?” allergisch reagiert. Fakt ist, sie mussten nicht sterben. Die Zeiten, in denen jeder Tod das Ergebnis einer höheren Macht ist, sind vorbei. Das die Angehörigen tatsächlich geschockt sind, und zwar wirklich geschockt im Gegensatz zu unbeteiligten Politikern, Journalisten und sonstigen dazusenfern, ist klar. Deswegen wundert sich auch niemand über die immer anzutreffenden „Warum?”-Schilder vor den Grablichtern: sie sind Ausdruck von Schockierung und Hilflosigkeit. Autoren jedoch täten gut daran, sich nicht durch ähnliche Ausdrucksweise in die Riege der Betroffenen einzumogeln. Ich gebe frank und frei zu, dass ich weder geschockt bin, noch trauere ich.

Als wäre das nicht unschön genug, hat sich Eva Herrmann (bzw. Herman) zu Wort gemeldet. Normalerweise ist dies stets zu ignorieren, da ihre Kommentare vorhersehbar naiv und geistig unausgewogen sind. Aber jetzt hat sie es endlich mal wieder zu medialer Aufmerksamkeit geschafft: sie ist, für einige offenbar sehr überraschend, kein Fan der Loveparade. Das wurde aufgegriffen, wie unnötigerweise auch vom Medienjournalisten Stefan Niggemeier, und gab ihr Grund sich an dem Echo weiter hochzuziehen. Ihren Stumpfsinn als Verhöhnung der Angehörigen zu bezeichnen ist eine Farce. Ich bin froh, dass ich die Situation der Betroffenen nicht nachvollziehen kann, doch hege den wagen Verdacht, dass ich die ungefragten Anwälte in meiner Sache, also praktisch jeder der jetzt moralapostelig seine Meinung kundtut, genauso unsympathisch fände.

Zu guter Letzt gibt es noch die Hetzjagd nach dem Schuldigen. Mal sehen, wer in den nächsten Tagen zum Sündenbock erhoben wird. Leider ist die Realität kompliziert und der Vorfall ist eher ein Zusammenspiel aus vielen Dingen, die schiefgelaufen sind. Diese Dinge sollten aufgezeigt werden um Konsequenzen daraus zu ziehen. Es gab Probleme in der Organisation, in den behördlichen Belangen, es wurde sich zu sehr auf unzutreffende Simulationen verlassen, es gab zu wenig professionell angewiesenes Personal und bei den Fluchtwegen hat es gehapert. Einen Grund oder einen Schuldigen für den Unfall zu finden ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Samstag, 24. Juli 2010

4 populäre Irrtümer unter Redakteuren

Viele andere würden gleich ein Buch aus dem Thema machen, und ich will nicht ausschließen, dass ein solches bereits Existiert. „Die schrillsten Redaktionsirrtümer” für 4,95 bei Thalia. Auf dem Cover wäre vermutlich das Gesicht des Autors, möglichst groß und neckisch guckend.
Trotzdem möchte ich ein paar Irrtümer aufdecken, welche sich wie rote Fäden durch die Medienlanschaft ziehen. In Kommentaren, Editorials und auch überall sonst, wo eine Meinungsäußerung der üblichen Verdächtigen nicht verhindert werden konnte, stößt man auf diese Fehler. Im Einzelnen sind dies:

„Content-Diebstahl” ist ein Problem


Erst einmal gibt es berechtigte Einwände gegen die Wortwahl: mit Diebstahl oder Klau hat das, was gemeint ist, wenig zu tun. Ich persönlich finde den Begriff unproblematisch, solange der Leserschaft eine gewisse Internetkompetenz zuzumuten ist. Denn die wissen, dass im Internet nichts gestohlen, sondern kopiert wird. Wenn ich etwas stehle, dann nehme ich etwas weg, im Web wird jedoch eine Urheberrechtsverletzung begangen.
Aber wo sind diese vielfachen Uhreberrechtsverletzungen? Kopieren Blogger, die über eine nennendwerte Leserschaft verfügen, komplette Artikel auf ihre Seiten? Wenn ja, dann ist mir das noch nicht untergekommen. Und was ist mit Google? Der Internetriese sammelt alle Nachrichten um sie dann zu verlinken. Google ist ein Lieferant, der wohl eine nicht unerhebliche Zugriffsquelle für sämtliche Onlinezeitungen darstellt. Trotzdem machen sie Druck und wollen Google ans Leder. Dass die Verlage gerne mehr Geld ohne zusätzliche Arbeit hätten, ist klar. Dass das nicht funktionieren wird, ist auch klar.

Dialog mit dem Leser bedeutet: ein Kommentarfeld einrichten


Schön wär's. Aber in der Praxis ist ein Kommentarfeld ohne Rückmeldung der Redakteure sinnlos. Ich lese selten die Kommentare, und wenn, dann sind sie meist langweilig bis grauenvoll. Die Leser reden nur untereinander, es schaukelt sich hoch, und irgenwann landet man dann argumentativ bei Hitler. Es gibt nur wenige Redaktionen, die die Kommentare zur Kenntnis nehmen und darauf eingehen.

Die Leute unterstützen unseren Druck auf die öffentlich-rechtlichen


GEZ ist mist. Damit konnte man noch Leute ködern, denn der Deutsche zahlt ungern Gebühren. Aber mittlerweile wird es lächerlich: bei dem Versuch, den Leuten zu erklären, warum ARD ältere gebührenfinanzierte Beiträge aufwändig löschen muss, sind sämtliche Verlage gescheitert - zu Recht, denn es gibt keine Erklärung die nicht zwangsläufig die Worte „Konkurrenz” und „ausschalten” enthält.

Onlinezeitungen sind ein riesiges Verlustgeschäft


Sind sie nicht. Spiegel Online etwa machte letztes Jahr rund 4 Millionen Euro Gewinn, RP Online kam immerhin auf eine Million und auch die ZEIT kann nach Eigenauskunft nicht über die Onlinesparte klagen. Natürlich sind es keine Gelddruckmaschinen, und es gibt auch Seiten, die nicht besonders laufen. Aber das Riesenverlustgeschäft aller Onlinemedien ist nichts als ein Riesenmythos.

Q.e.d., Welt Online

Da konntest Du dir es nicht verkneifen den vielleicht vierzigsten Aufsatz über die bösen öffentlich-rechtlichen im Internet zu schreiben. Ein wahres Feuerwerk an Metaphern und Adjektiven! Wohlweislich wurden die Kommentarmöglichkeit sofort ausgeschaltet, denn Du kennst ja deine undankbaren Pappenheimer die für ihr Geld gerne auch die Sendungen der ARD im Internet sehen würden.
Ein Satz ist aber so überraschend und ehrlich, dass ich fast vom Stuhl gefallen wäre - da wird doch tatsächlich Christoph Degenhart wie folgt zitiert:
"Die hoch subventionierten Öffentlich-Rechtlichen haben völlig zu unrecht einen Freifahrtschein, den privaten Anbietern im Netz mit presseähnlichen Produkten Konkurrenz zu machen", sagte er - und appellierte an die Verleger, ihre juristischen und medienpolitischen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Wow, Hut ab vor soviel Chuzpe! Aber, ganz ehrlich: glaubst Du, liebe Welt, dass die Leser begeistert sind von einer offenen Ankündigung, jetzt noch mehr Propaganda in eigener Sache zu machen? Gehirnwäsche, falls Du darauf hinaus willst, funktioniert leider nicht, siehe Scientology. Aber versuchs doch einfach mal mit guten Artikeln!

Donnerstag, 22. Juli 2010

Von den Medien ignoriert (2)

Sogenannte „arbeitsfaule” Hartz IV-Empfänger müssen sich in Bremen warm anziehen bzw. sich dafür erst einmal Marken besorgen: die Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis) verteilt nun Gutscheine für Lebensmittel und Hygieneartikel an die „unkooperativen” Arbeitslosen, da ein Gericht festgestellt hatte, dass eine Kürzung der Leistungen um 100% (was eigentlich angedacht war) nicht vereinbar mit deutschem Recht ist.

Nun, ich denke es ist müßig wieder einmal anzuführen, dass Sanktionen in solchen Fällen nichts bringen, dass die Menschenwürde für Sozialhilfeempfänger den Bach heruntergeht und dass die mit Abstand größten „Schmarotzer”, gemessen an dem schmarotzem Geldvolumen, ganz oben sitzen und nicht ganz unten. Da reicht ein Zitat des Soziologen Prof. Dr. Michael Hartmann:
Die öffentliche Debatte über die "Sozialschmarotzer", wie sie von Personen wie Sarrazin, Westerwelle, Sloterdijk oder di Lorenzo geführt wird, grenzt diesen Teil der Bevölkerung aus. Sie werden zum Sündenbock gemacht, obwohl die derzeitigen Finanzprobleme der öffentlichen Haushalte mit den Sozialleistungen für sie nur wenig zu tun haben.
Die wirklichen Verursacher, die Banker, die spekuliert haben, die Politiker, die die Deregulierung des Finanzsektors beschlossen haben und die Wohlhabenden und Reichen, die davon profitiert haben, gelten dagegen als "Leistungsträger". Das ist eine seltsame Sicht der Realität. Sie treibt die Spaltung der Gesellschaft weiter voran.

Die Spaltung der Gesellschaft ist ja offensichtlich das erklärte Ziel vieler Parteien wie auch vieler Medien. In diesem Fall hätte ich mir eine Berichterstattung gewünscht. Dort könnte auch mal nach dem Warum und Wieso gefragt werden - mir ist das noch immer nicht klar. Da die öffentliche Hand natürlich für die mit den Marken eingekauften Gegenstände zahlt, dürfte die Einsparung in etwa bei 0 liegen. Was für Gründe bleiben dann noch? Der Internetauftritt der Bagis schweigt sich darüber aus, ebenso wie die Hotline oder die Beamten am Mailservice. Vielleicht gibt man selbst in Zeiten von Schwarz-Gelb nicht so gerne zu, einfach noch mehr Druck und Autorität auf die ärmsten Bürger ausüben zu wollen.

Further reading:
Gutscheine statt Geld für Bremer Arbeitslose - Artikel des Radio Bremen, 13. Juli 2010
'Workshy' German unemployed handed food coupons and clothes vouchers instead of cash payments Daily Mail Online, 16. Juli 2010 (englisch)

Schon wieder ist der Weltfrieden gefährdet

Heute morgen, eine Redaktion irgendwo in Deutschland:

Red. A: Du, sag mal, haben wir eigentlich Weltfrieden?
Red. B (schaut aus dem Fenster): Joa.
Red. A: Gut, dann schreib ich das so. Was machst Du denn da?
Red. B: Ich bin grad beim Anschlag in Afghanistan. Nicht so wild, keine Deutschen.


So muss es aussehen bei Welt Online und Focus Online, die heute morgen mit Bezug auf Nordkorea titeln: „Nordkorea: USA ist Gefahr für den Weltfrieden”. Da möchte der Leser doch wissen, was die Redakteure jetzt schon wieder geritten hat.
Es ist nicht das erste Mal. Auch der Iran ist gerne Mal eine „ernsthafte Gefahr für den Weltfrieden” (Die Zeit). Und schon 2008 fragte Focus keck: „China: Gefahr für den Weltfrieden?
Nun, ich weiß nicht in welcher Welt diese Redakteure leben, aber eins dürfte klar sein: den heraufbeschworenen und noch öfter gefährdeten Weltfrieden gibt es nicht. Der Wikipedia-Artikel beschreibt es hier sehr treffend:
Weltfrieden ist der Ausdruck für den Idealzustand eines weltweiten Friedens, also für das Ende aller Feindseligkeiten und aller Kriege – aktuell also der andauernden Kriege und Konflikte.

Aktuell gibt es kaufenweise Kriege und Konflikte, wie auch diese Grafik deutlich macht. Das Merkwürdige bei der ganzen Sache ist doch, dass jene Nena-Überschriften vorzugsweise in den Blättern erscheinen, die mit Vorliebe über Kriege jeder Art berichten. Warum der Autor nicht einmal stutzt, wenn in der gleichen Zeitung über die neuesten blutigen Auseinandersetzungen berichtet wird, das wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Letzen Endes ist das Alles sowieso falsch: in Nordkorea wurde überhaupt nichts von Weltfrieden gesagt, sondern nur von einem Frieden in der Region.
The joint military drills are not only a grave threat to peace and stability of the Korean peninsula, but also the region as a whole,” Ri said.
So wird Ri Tong Il korrekterweise von Bloomberg zitiert. Trotzdem geben die deutschen Medien die Hoffnung auf einen Weltfrieden nicht auf.

Dienstag, 20. Juli 2010

Journalisten und Primärquellen - Managergehälter

Ich dachte ja, dass zumindest die Journalisten die wichtigsten Primärquellen als Bookmarks gespeichert haben. Statistisches Bundesamt, Gesundheitsministerium, Bundesanzeiger und so weiter.
Haben sie nicht. Beispiel gefällig?
Die Thüringische Landeszeitung informiert uns heute über die Managergehälter - als Quelle wird ein Artikel im Focus angegeben.
Die BILD zieht mit und ruft: „Das verdienen unsere Manager” Dort wird losgelegt mit dem Satz: „Eine neue Umfrage macht deutlich...”
Der Witz bei der ganzen Sache ist: diese Daten sind frei im Internet verfügbar, auf der Seite verguetungsregister.de vom Bundesanzeiger. Also muss man nicht den Focus bemühen, um die Vorstandsgehälter der börsennotierten Unternehmen herauszufinden. Und erst recht muss man keine nicht existente Umfrage erfinden, welche den Artikel noch dazu unfreiwillig komisch macht. Wie stellt die BILD sich das vor? Klingelt ein Reporter der Reihe nach bei Linde, Cordes und Winterkorn um sie dann zu fragen: „Entschuldigung, eine Frage, was verdienen sie so im Jahr? Bitte ehrlich sein!”?

Auch das manager magazin brüstete sich unlängst damit, die Gehälter knallhart analysiert zu haben. Wenn es um den Springer-Chef Döpfner geht werden wieder Wieselwörter bemüht: „Auf etwas mehr als elf Millionen Euro schätzen renommierte Gehaltsexperten Döpfners Gehalt.”. Renommierte Gehaltsexperten, soso. Zwar mogelt sich Springer im Vergütungsregister um genaue Angaben herum (es wird nur ein Gesamtgehalt für den Vorstand angegeben), aber Experten braucht es dazu wahrlich nicht. Der Vorstand, bestehend aus vier Leuten inklusive Döpfner, bezog ein Gehalt von 17,7 Millionen Euro im Jahr 2009. Da Döpfner der Kopf des Quartett Infernale ist, sagt einem der gesunde Menschenverstand wie sein Gehalt etwa aussehen mag. Irgendwas zwischen 10 und 12 Millionen, aber auf jeden Fall zuviel.
Also, Journalisten, Bürger und Politiker: nutzt endlich mal die verdammten Primärquellen! Einerseits ist es interessant, andererseits muss man sich dann die Artikel der Lohnschreiberlinge nicht als "exklusiv" oder als "Umfrage" verkaufen lassen.

Als besonderes Schmankerl noch ein kleiner Auszug aus dem Vergütungsbericht von VW:
Die Bezüge des Vorstands setzen sich aus fixen und variablen Bestandteilen zusammen. Durch die fixen Bestandteile ist einerseits eine Grundvergütung gewährleistet, die es dem einzelnen Vorstandsmitglied gestattet, seine Amtsführung an den wohlverstandenen Interessen des Unternehmens und den Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns auszurichten, ohne dabei in Abhängigkeit von lediglich kurzfristigen Erfolgszielen zu geraten.

Also sollen die fixen Bestandteile sicherstellen, dass die Verantwortlichen auch mal an den langfristigen Erfolg des Unternehmens denken. Im Fall von Martin Winterkorn sind das ganze 1,7 von 6.6 Millionen Euro. Na, wenn das kein Anreiz ist!

Montag, 19. Juli 2010

SUPERillu-Chef erhält Belanglosigkeit am Bande

Superillu-Chef Jochen Wolff wird, noch auf Bestreben Horst Köhlers, augezeichnet. Warum melden die Nachrichten das? Okay, so schlimm ist das Blatt auch nicht. Um es mit den Westfalen zu sagen: es gibt schlimmeres.
In diesem Fall ist die Verleihung der fulminante Abschluss zwischen einer jahrelangen gegenseitigen Eierschaukelei von Köhler und Wolff. So hatte Wolff seinerseits den Bundespräsidenten im Jahr 2008 mit der „Goldenen Henne”, ausgelobt von Superillu und MDR, geehrt. Nach dem Rücktritt verfasste Wolff einen schmalztriefenden Nachruf, ähm, eine Laudatio. Ob sie schlechter oder besser als die nicht minder pathetische Rede von 2008 ist, wage ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall hat er ihn geliebt, und jetzt liebt Köhler ein kleines bisschen zurück.

Das Bundesverdienstkreuz wollen wir ihm allerdings nicht verdenken, ist es doch ohnehin wertlos. Es wird jährlich an mehrere tausend Bürger verliehen, teilweise auch an sehr fragwürdige. Heinz Eckhoff, Ehemaliger der Waffen-SS und später bei der NPD, ist ein besonders schönes Beispiel. Oder die „Israel tötet Kinder”-Gebetsmühle Felicia Langer. Auch der steuerhinterziehende Milliardär Reinhold Würth durfte die Ehrung nach seiner Verurteilung behalten. In die illustre Runde reihen sich auch Leute wie Peter Maffay, Birgit Schrowange und bald Jogi Löw ein.


Die Vorschläge für auszeichnungwürdige Personen kommen dabei von den Ländern, geprüft werden sie vom Bund oder dem Präsidenten nicht.
Der Bundespräsident ist auf die sorgfältige Prüfung jedes Ordensvorschlags durch die Länder angewiesen.
Sagte einmal die Sprecherin von Johannes Rau. Zumwinkel immerhin hat sein Kreuz freiwillig zurückgegeben - das geht aber auch nur, wenn man es nicht vorher in der Pfeife raucht.

Sonntag, 18. Juli 2010

Content-Klau-Desaster bei Chip.de

Das populäre und langlebige Blog PhotoshopDisasters ist immer einen Blick wert und man gelangt nach und nach zu der Einsicht, das sämtliche Plakate und Titelseiten zu 10% Fotografie und zu 90% Photoshop sind.
Auch das Computerportal Chip.de ist anscheinend großer Fan. Im September 2008 hatten sie daher eine schnelle Klickstrecke namens „Die 20 größten Photoshop-Ausrutscher” erstellt. Da kein einziges Bild von der Redaktion selbst gemacht wurde, ist auch konsequenterweise immer brav die Quelle angegeben.

Allerdings geistert aktuell auf der Hauptseite in der Kategorie „Top-Fotos” eine Bildergalerie namens „Die größten Photoshop-Desaster” herum. Die klingt zwar vertraut, ist aber von Januar 2009 und offenbar immernoch ein Dauerbrenner (oder alle Klickstrecken der letzen 18 Monate waren unterirdisch langweilig). Dieses Mal ist sie um mehr als das Doppelte gewachsen und umfasst sogar 47 Bilder. Da ist es natürlich schwer immer die Quelle anzugeben. Also hat Chip es diesmal gar nicht erst versucht und sich auf launige Kurzkommentare wie „Lieber Grafiker: Leg doch beim nächsten Mal die Ebene mit der Beschriftung für das T-Shirt hinter die für den Arm...” beschränkt. Dass so gut wie alle Bilder von obigem Blog geklaut sind, kann man bei manchen von ihnen an dem gerade noch erkennbaren Wasserzeichen ausmachen. Bei anderen gar nicht, oder ich habe es nur nicht gefunden. Aber hey, solange es 47 Klicks bringt.

Erschwerend kommt hinzu, dass sie noch nicht mal vernünftig klauen können: im Internet finden sich tausende solcher Bilder, trotzdem hat Chip den Großteil der alten Klickstrecke in der neuen wiederverwurstet - wie etwa hier und hier. Merkwürdig wird es, wenn sie das selbe Bild in einer anderen Version zeigen: offenbar konnte sich der Redakteur nicht mehr an dieses Bild erinnern und hat es sich, leicht abgewandelt, erneut beschafft. Warum einfach wenn's auch kompliziert geht?

Vielleicht wollte Chip die Aufmerksamkeit ihrer Leser testen, als sie dann vergangenen Monat die alte Bildergalerie, also die von 2009, wieder neu auflegten und sie prominent in den „News” platzierten. Wäre ja auch gelacht, wenn sich ein 47-teiliger geklauter aufgewärmter Klickmarathon nur einmal verwerten ließe!

Schon klar, das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, Uhreberrechte beachten und so weiter. Damit könnte das Chip.de-Desaster als weiteres Beispiel für die Doppelmoral der Onlinemedien ins Internetarchiv wandern, wenn das Ganze nicht noch ein unterhaltsames Nachspiel im Forum gehabt hätte. Dort haben die User die Möglichkeit, die News und Artikel zu kommentieren. Eine erste kritische Stimme wird laut und moniert die Rechtschreibfehler in den Autorenkommentaren zu der Klickstrecke. „Was will den der?” denkt sich da der Forenmoderator namens UHecker (mit offiziellem Chip.de-Siegel) und antwortet:
Im Gegensatz Zu Dir nutze ich mein Hirn, bevor ich rummosere. Du hättest ja auch von Anfang an Beispiele für Deine - immer noch unbewiesene! - Behauptung bringen können, aber nein, erstmal draufhauen, muss ja keiner wissen ob's stimmt, Hauptsache gemeckert. So nicht.
Und für Dich gilt: gewöhn Dir gefälligst einen anderen Ton an.

An dem Ton des Users fand ich jetzt persönlich nichts auszusetzen, aber anscheinend ist die Redaktion der Meinung, dass die lächerliche Klaugalerie 3.0 über jede Kritik erhaben ist. Die Pointe steht noch am Ende des Postings des Moderators:
Geändert von UHecker (14.06.2010 um 10:07 Uhr) Grund: Letzten Satz gestrichen.
Einerseits interessiert mich zwar, was da wohl gestanden hat, andererseits möchte ich es auch gar nicht so genau wissen.

Grafik: die großen Medienunternehmen

Nachdem ich gestern etwas verwirrt war, dass StudiVZ zum Holtzbrinck-Verlag gehört (ich dachte bis dato, Axel Springer hätte das gekauft), kam mir die Idee zu einer netten Grafik (klicken zum Vergrößern):


Ein paar Anmerkungen gibt's noch: erstens ist die Grafik selbstverständlich nicht vollständig - mit sämtlichen Verlagen, Zeitschriften, Radios, Internetportalen und Lokalzeitungen wäre man da sicherlich im vierstelligen Bereich gelandet. Zweitens ist die Struktur teilweise vereinfacht. So erscheint die Zeitschrift "Chip" im Verlag "CHIP Communications GmbH", welche einer Tochter der "Chip Holding" ist, welche dann wiederum komplett Hubert Burda Media gehört. Aber ich wollte es auch nicht übertreiben.
Besonders Holtzbrinck und Burda treiben es mit ihren ganzen Holdings, Teilhaberschaften und Joint-Ventures ziemlich bunt. Und es gibt wohl kaum eine Internetseite, die ihnen nicht entweder gehört, gehört hat, oder über deren Kauf einer von beiden gerade nachdenkt.

Samstag, 17. Juli 2010

Von den Medien ignoriert (1)

Durch Zufall heute in der Onlineausgabe der Monde gefunden: Sigmar Gabriel von der SPD und Martine Aubry, Parteivorsitzende des französischen Sozialdemokraten PS, haben einen Pakt zur Stärkung des sozialen Europas unterschrieben. Soweit wenig verblüffend. In dem Pakt geben die beiden Oppositionsparteien den Konservativen und Liberalen die Mitschuld an der Wirtschaftskrise und setzen sich für ein wirtschaftlich vereinheitlichtes Europa ein. Weiterhin sollen Bildungs- und Sozialausgaben gemessen am BIP gesetzlich verankert werden.
Okay, das klingt doch gar nicht mal schlecht, aber warum wurde die Nachricht nicht Teil der PR-Maschinerie der SPD? Ich habe da so einen Verdacht:
Ce pacte européen de progrès social impliquerait pour chaque Etat membre l'instauration d'un salaire minimum tenant compte de la réalité économique

Zu deutsch: Der Pakt für sozialen Fortschritt bedeutete für jeden Mitgliedsstaat die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gemessen an der wirtschaftlichen Realität.

Aha. Das wirkt an sich schon etwas merkwürdig, da Frankreich selber schon lange über einen Mindestlohn verfügt. Mit zur Zeit 8,44€ sogar einer der höchsten in Europa. Und überhaupt steht Deutschland ziemlich verlassen da: aktuell haben 21 der 27 Mitgliedsstaaten einen gesetzlichen Mindestlohn. Ob es Sigmar Gabriel wenigstens peinlich war, das Dokument zu unterzeichnen? Bestimmt. Darum hört man auch nichts in den Medien davon: die SPD tönt traditionell nur dann von Mindestlohn, wenn die selbst in der Opposition ist. Dann kann sie nämlich sagen: „Wir würden ja wenn wir könnten...”. So wie jetzt. Oder letztes Jahr. Oder das Jahr davor.
Als sie selbst an der Regierung waren, haben sie sich lustigerweise darauf geeinigt, das Thema zu verschieben „bis zur nächsten Bundestagswahl 2006”, da sie wussten, das sie verlieren würden bzw. gar nicht erst so weit kommen.
Also wird dieser deutsch-französische Pakt gar nicht erst an die große Glocke gehangen. Am Ende müsste man, wenn CDU und FDP endlich gestürzt sind, ja tatsächlich etwas unternehmen. So wie der ganze Rest der EU. Das könnte im Zweifelsfall dann doch noch unangenehm werden.

Freitag, 16. Juli 2010

Hüte dich vor B.Z.-Lesern im Straßenverkehr!

Unter der Überschrift „Sommerhitze: 11 Rechtstipps für den Hitze-Alltag” wird der Leser in der B.Z. belehrt, unter anderem zu folgenden Fragen (die Antworten von mir verkürzt):

Mit Flip-Flops Auto fahren Fazit: erlaubt.
Ventilator auf dem Armaturenbrett Erlaubt.
Eis essen am Steuer Ist erlaubt.
Nackt am Steuer Geht so, am besten eine Unterhose anziehen.
Füße aus dem Autofenster Prinzipiell erlaubt.
Polizeieinsatz für Hund Rettet die Polizei einen Hund aus dem aufgeheizten Auto und schlägt dazu das Seitenfenster ein, muss der Besitzer zahlen.

Ich fahre zwar kein Auto, aber fände es wünschenswert wenn die Polizei nackte, eisessende Fahrer mit den Füßen aus dem Fenster und sterbendem Hund auf dem Beifahrersitz inklusive Ventilator vorm Gesicht aus dem Verkehr zöge.
Aber vielleicht bin ich da auch zu pingelig.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Zukunft und Chancen für Blogs

Worin unterscheiden sich die großen Blogs von den Onlineablegern der Zeitungen? In ziemlich allem, könnte man sagen. Sie haben scheinbar völlig verschiedene Zielsetzungen: die klassischen Medien wollen informieren (eigentlich Auflage machen, aber betrachten wir das mal für einen Moment etwas romantischer). Sie suchen aus dem schier unüberschaubaren Haufen an Neuigkeiten die relevanten von ihnen heraus und berichten mehr oder weniger ausführlich darüber. Die großen Blogs auf der anderen Seite sind tendenziell stärker meinungsgefärbt. Sie informieren zwar auch, doch die Selektion der Themen fällt viel strenger aus und ist meistens auf ein bestimmtes Themenfeld zugeschnitten.
Manchmal aber verschmimmen die Grenzen zwischen den Großen und den Kleinen. Wie auch im Fall Horst Köhler, wo die klassischen Medien erst nach den Blogs die Brisanz seiner Aussagen im Deutschlandfunk erkannt haben. Zu diesem Phänomen sagt Florian Schwinn in dem hr2-Beitrag „Die Leitmedien der Zukunft”:
Aber die Tagesordnung bestimmte dennoch die Internetgemeinde. Damit übernahmen sie zum wiederholten Mal das Agenda-Setting, die Macht über die Themenwahl. Das ist eigentlich die Domäne der klassischen Medien.

Trotzdem sollte man die Bedeutung der Blogs nicht überschätzen. Das sie oftmals noch im halbdunkeln des dröhnenden Internets stehen, mag auch an der Machart liegen: sie beschränken sich oftmals darauf, die klassischen Medien entweder zu kommentieren oder ihnen nachzueifern, ungeachtet dessen, das diese häufig selbst ein schlechtes Beispiel sind. Der Medienprofessor Horst Müller steht wohl nicht allein da, wenn er von einer „Boulevardisierung der Medien” spricht. Es könne, so Müller, heute nur ein Thema in die Medien gelangen wenn es stark verkürzt und auf einen leicht zu transportierenden Aspekt zugespitzt sei. Häufig sei dieser Aspekt eine Person, denn das funktioniere am besten. Und damit ist nicht nur BILD gemeint. Nein, die Leitmedien machen es vor und die Blogger ahmen es nach. Das mag eventuell auch an einer unbewussten Ahnung bezüglich des Internetkonsums der Leser sein: im Web ist alles schneller. Wer im Büro zwischendurch die Lieblingsseiten überfliegt, der rechnet nicht mit einem Text der den Umfang von 30 Zeilen plus Klickstrecke hinausgeht.

Warum rechnet er nicht damit? Weil es das zu selten gibt. Und genau dort ist die Lücke, die Blogs füllen können: sie klafft dort, wo es um interessante, ausführliche und hintergründige Beiträge geht, welche die Onlinezeitungen selten bieten. Einige Blogs sind zwar schon auf dem richtigen Kurs, aber dann mangelt es verständlicherweise an der Frequenz neuer Beiträge, denn Bloggen ist in Deutschland immer noch ein Hobby. Vielleicht ist ein Zusammenschluss die Lösung - wenn ein Autor alle vier Tage einen qualitativen Text veröffentlicht, dann braucht es eben vier oder fünf auf einmal.

Fest steht, in der deutschen Bloglandschaft ist noch viel Luft nach oben, sofern sich auf die eigenen Stärken wie Stressfreiheit, Unabhängigkeit und positiver Ziellosigkeit besonnen wird.


Further hearing: Deutschlandfunk - Hintergrund zum Thema Netzmedien und Bürgerjournalismus (mp3, 18:09 Minuten, 8 Mb)
Further reading: Stefan Niggemeier in der FAZ über Journalismus und die Medienwelt im Internet

Auch Brunnhuber schlägt die Hitze aufs Hirn

Georg Brunnhuber, eigens von der Bahn entsandt um mit der Presse zu reden, ist anscheinend keine Ausrede zu lächerlich. Im Stern ließ er folgendes verlautbaren:
Ein Punkt ist allerdings bereits eindeutig erkannt: Zum Zeitpunkt der Planung dieser ICEs ist niemand davon ausgegangen, dass wir einmal Temperaturen von mehr als 35 Grad in Deutschland haben würden.
Nur dass es z.B. 1992, gute drei Jahre vor Baubeginn des ICE-2, schon einmal 35,8 Grad waren. Das All-Time-High in Deutschland liegt, meine ich, bei über 40 Grad. Was kommt als nächstes? Die Reisenden sind schuld, weil sie zuviel Abwärme produzieren?

Schon wieder Internetsperren

Und sie werden nicht müde, die Sperren zu fordern. Heute morgen gibt's wieder eine frische Meldung der dpa: „Kinderpornographische Webseiten zu lange abrufbar” heißt es da ewa bei rp online. Die logische Schlussfolgerung ist für alle Redaktionen offenbar das sagenumwobene Zugangserschwerungsgesetz.
Jene „Sperre”, die etwa auf dem eigens dafür einberufenen Expertengremium für wirkunglos befunden wurde. Die Petition gegen diesen Gesetzentwurf hatte mit 134.014 Mitzeichnern mehr als alle anderen Petitionen in der deutschen Geschichte, da es wirkungslos in Bezug auf die eigentliche Ziele sei und darüber hinaus Tür und Tor für staatliche Zensur öffnet. Auch die Fachleute vom CCC haben in einer Radiosendung viele Bedenken geäussert. In einer zähen Diskussion wurde dann gottseidank auf „Löschen statt sperren” umgeschwenkt. Was gesperrt ist, kann man umgehen. Was gelöscht ist, ist weg.

Jetzt wundert diese Mitteilung vom BKA wenig, wenn man weiß, dass die Bundeskriminalämter durch das Zugangserschwerungsgesetz nach Lust und Laune sperren könnten, mit geheimen Listen und ohne Gerichtsbeschluss. Die Zeit schrieb dazu im April letzten Jahres:
Kein Richter überprüft die Sperrlisten, keine parlamentarische Kontrollkommission, kein Datenschutzbeauftragter. Das BKA ist Ermittler, Ankläger und Richter in einer Person!
Das wäre natürlich klasse aus der Sicht des BKA. Und sie werden offenbar nicht müde, sich dafür einzusetzen. Das Problem ist jedoch ein anderes: warum das Löschen in der Realität lange dauert, verrät einem der Deutschlandfunk in einer „Hintergrund” -Sendung, wo sich Michael Böhm vom Bund der Kriminalbeamten zu Wort meldet:
"Hier haben wir gerade in Berlin das personelle Problem, dass die Technik zwar vorhanden ist, aber das Personal einfach nicht mehr mit diesen Datenmengen hinterkommt. Und dann kommen Sie in einen Bearbeitungsstau, das heißt also, Sie erkennen dann eventuell Zugriffsmöglichkeiten leider erst zu spät."
Aber ich vermute mal, dass mehr Beamte auch einiges mehr kosten. Daher wird das wohl nichts.
Abschließend möchte ich ein Zitat aus dem heutigen Artikel der Welt anbringen. Wer erkennt den logischen Fehlschluss?
BKA-Präsident Jörg Ziercke hatte mehrfach für Sperren im Internet plädiert, stößt mit dieser Position aber auf den Widerstand der mitregierenden FDP, die Liberalität im Netz fordert. Das alleinige Löschen führt laut Ziercke nicht zum Verschwinden der schrecklichen Bilder aus dem Internet, weil die Produzenten häufig über Kopien des Materials verfügen


Nachtrag 16:30:
Udo Vetter hat im lawblog weitere interessante Aspekte aufgezeigt. Dabei etwa den Umstand, dass sich hier über Bearbeitungszeiten aufgeregt werde „die [von dem BKA] selbst nie und nimmer erreicht werden”.

Mittwoch, 14. Juli 2010

Hauptschule ist super - Studien des Grauens

Die Allianz AG führt in Kooperation mit der Uni Hohenheim regelmäßig eine sogenannte „Zuversichtsstudie” durch. Diesmal exklusiv unter Schülern. Und das scheint jetzt hohe Wellen zu schlagen: „Mit Abitur lebt es sich zufriedener” tönt da sie SZ. Der Focus gibt sich nicht mit Kleinigkeiten ab und zieht direkt das Fazit „Bessere Bildung, besseres Leben”. Mal sehen, was wir davon zu halten haben:
Erhoben wurden die Daten von insgesamt 1.503 Schülerinnen und Schülern bundesweit zu je gleichen Anteilen aus Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien.
Dies steht in der offiziellen Pressemitteilung. Das bedeutet: von jeder Schulform wurden 1503 / 4 = 375,75 Schüler befragt. Der Einfachheit halber gehen wir mal von 376 aus. Und wenn die SZ jetzt schreibt, dass Hauptschüler sich am besten auf das Leben vorbereitet fühlen, was sagt uns das? Ein Blick in die Pressemitteilung verrät uns folgendes:
Von allen Schülern fühlen sich Hauptschüler (53%) durch die Schule am besten für das weitere Leben gerüstet. Von den Realschülern teilen 50% diese Einschätzung, von den Gesamtschülern 47% und den Gymnasiasten lediglich 45%.
Wer in der Lage ist, einen Taschenrechner zu bedienen, findet schnell die absoluten Zahlen heraus. Von den Hauptschülern fühlen sich also 199 gut vorbereitet und 176 nicht. Von den Realschülern fühlen sich 187 gut vorbereitet und 187 nicht. Ergo: bei der einen Gruppe haben 11 Befragte anders geantwortet. Elf! Da solch hohe Zahlen schwer vorstellbar sind: das entspricht etwa einer Fußballmannschaft.

Aus dieser Studie tatsächliche Schlüsse zu ziehen ist lächerlich, und sie allen Ernstes als „exklusiv” und „repräsentativ” vermarkten zu wollen ist ein Hohn.

Das hält aber anscheinend nicht von Schlagzeilen wie „Deutschlands Schüler verteidigen die Hauptschule” (Welt online) ab.

Merke: aus einer ganz natürlichen statistischen Schwankung von ein paar Schülern bei einer sinnlosen Umfrage werden sehr schnell „Deutschlands Schüler”.

Die Bahn zeigt sich spendabel

Nachdem nun ein Fall, in dem die Klimaanlage eines Zuges nicht funktionstüchtig war, durch zahlreiche Personenschäden bekannt geworden ist (nachuzlesen etwa hier im wdr-Panorama), gibt es jetzt eine Entschädigung.
Wer wegen der Hitze gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten habe und ärztlich versorgt werden musste, soll als Wiedergutmachung Reisegutscheine in Höhe von 150 Prozent des ursprünglichen Fahrpreises erhalten, teilte die Bahn in Berlin mit.

So klingelt es durch alle Internetmedien. Nun fallen mir spontan ein paar Dinge daran auf: erst einmal das Wort „soll”. Das klingt unverbindlich und ganz und gar nicht nach einem Versprechen. Aber das mag auch einfach an einer unglücklichen Fomulierung der Journalisten liegen. Dann lies mich die Art der „Wiedergutmachung” stutzen: ein Reisegutschein für das gleiche Transportmittel, welches jenen Personen einen albtraumhaftes Erlebnis und körperliche Schäden beschert hat. Na, herzlichen Dank.

Letztendlich schlägt der Betrag dem Fass die Krone aus: 150% des Fahrpreises. Wenn man früh genug bucht, dann bekommt man ein ICE-Ticket etwa von Berlin nach Bielefeld für 49 Euro. Das ergibt einen Reisegutschein von armseligen 73,50 Euro. Eine tolle Entschädigung etwa für die „zahlreichen Schüler von zwei Schulen in Nordrhein-Westfalen [die] dehydriert ins Krankenhaus kamen” (spiegel.de). Und selbst dafür muss der Betroffene erst einmal nachweisen, dass er ärztlich behandelt wurde. Das wird bei denen, die lediglich erste Hilfe erhalten haben, wohl kaum möglich sein.

Und kein kritisches Wort dazu von den Qualitätsjournalisten: Spiegel Online palavert lieber mehrere Absätze lang über die Technik von Klimaanlagen und kommt zu dem überraschenden Schluss, dass die Bahn ein „Wartungsproblem” habe. Die Süddeutsche fasst sich kurz und motiviert die Opfer lieber, die sog. Wiedergutmachung anzufordern („[...] unter der E-Mail hitzewelle@deutschebahn.com, per Telefon oder per Post”).
RP Online macht immerhin leichte Andeutungen, die Form der Entschädigung als Reisegutschein zu bemängeln. Aber auch nur im Konjunktiv: „Politik fordert einheitliches Entschädigungssystem” heißt es dort.

Diesbezüglich eine sehr ermüdende Presselandschaft. Liebe Journalisten: nicht immer nur abschreiben, auch mal ruhig etwas Interessantes, Wahres, Richtiges schreiben! Wenn das Verhalten der Bahn eine Frechheit ist, dann darf man das auch so nennen. Hört bitte aus damit, dieses Trauerspiel noch schlimmer zu machen, indem ihr ständig wiederholt, das das Ganze reine Nettigkeit sei und die Betroffenen eigentlich kein Recht darauf hätten. Denn das ist falsch. Wenn ich in einem ICE eingeschlossen vor mich hin dehydriere und im Krankenhaus lande, dann habe ich selbstverständlich ein Recht auf Schmerzensgeld. Darauf hat auch der Focus hingewiesen.
Sieht ja danach aus, als hätte die Bahn das schon vorher gewusst. Das wäre dann vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen. Die Annahme des lächerlichen Reisegutscheines wäre dann allerdings eine außergerichtliche Einigung, dann gibt's keine Schadensersatzansprüche. Na hoppla!

Mein Gott, Onlinezeitungen, dann schreibt's zur Not anonym, wenn ihr Angst vor einem Verlust der Bahncard 100 habt.


Further Reading: Der Fachjournalist Freidhelm Weidelich kommentiert das Entschuldigungsschreiben (oder zumindest das, was ein Entschuldigungsschreiben sein soll) der Bahn.